Die Präsenz eines Menschen auf Instagram- sie beginnt heute oft schon im Mutterleib. Das gepostete Bäuchlein ist DAS Zeichen für Freunde, Familie und sonstige Follower: “Ok guys, we are pregnant!!!”. Dieser eine Post ist übrigens der erfolgreichste ever. Nie wieder gibt es so viele Herzen, Kommentare und Aufmerksamkeit. Es folgt die Gender Reveal Party, der Babymoon und schließlich: die winzig kleinen Fingerchen an Mamas Hand nach der Geburt. Kurze Verschnaufpause, dann steht schon das Newborn Shooting an und danach viiiieeele bunte Mottogeburtstage. Nicht zu vergessen: die Urlaube! #blessed. In der Pubertät ist dann oft Pause, aber spätestens mit den ersten Parties kommen die Posts dann auf dem Account des Kindes zurück. Der Insta Circle of Life. Die erfolgreichsten Influencer:innen der Welt mit Millionen Followern leben genau das. Und es ist verdammt wichtig, darüber zu sprechen, auch wenn es Gegenbewegungen gibt. Die Münchenerin Bianca Kellner-Zotz widmet dem Thema ein ganzes Buch: Happy Family.
Happy Family
Darin beschreibt die Kommunikationswissenschaftlerin, selbst Mutter von zwei Kindern, wie sich Familien auf den Sozialen Medien inszenieren und damit andere- aber vor allem sich selbst!- stressen. Für ihr Buch hat sie mit über 40 Expert:innen gesprochen, darunter Anwält:innen, Therapeut:innen, Ärzt:innen, Erzieher:innen und Forscher:innen. Auf knapp 370 Seiten führt sie uns auf dramatische Art und Weise vor die Augen, wie sehr wir in diesem Wahnsinn mitspielen. Aber warum?!
Durchschnitt? Nein Danke!
Wir leben im Überfluss. Wir wollen besonders sein, besser, kreativer und glücklicher als die anderen Menschen um uns herum. Das gibt uns Sicherheit und stärkt unser Selbstbewusstsein. Aber der Preis, den wir dafür zahlen, ist hoch.
“Das Spektakel ist zum Normalfall geworden. Wir inszenieren unser Familienleben auf Facebook, Instagram und WhatsApp und tun so, als sei dieser anstrengende Alltag leicht wie eine Seifenblase.”
Bianca Kellner-Zotz
Frei nach dem Motto: “GUCK MAL, WO ICH WIEDER BIN! UND WIE GLÜCKLICH!” Happy Family eben. Doch wie können wir uns von diesem Bedürfnis frei machen?
Bianca Kellner-Zotz: “Schöne Erlebnisse, gemeinsame Feste und Urlaubsreisen sind etwas Tolles und machen unser Leben reich. Aber wir finden oftmals nicht mehr das richtige Maß, sondern hecheln von einem Höhepunkt zum nächsten und versuchen, jedes Ereignis zu etwas Besonderem zu machen, vom Heiratsantrag bis zum Wochenendausflug. In dem Bemühen, jeden an unserem Glück teilhaben zu lassen, verpassen wir die Schönheit des Moments. Ein Beispiel: Eine Hebamme erzählte mir von einem Elternpaar, das sich im Kreißsaal schrecklich aufregte, weil es kein WLAN gab. Sie wollten unbedingt gleich nach der Geburt Bilder des Babys posten. Als das nicht gelang, fing die frisch gebackene Mutter vor lauter Enttäuschung zu weinen an. Dabei hielt sie doch ein völlig gesundes Kind im Arm. Ich kann nur jedem raten, sich selbst ehrlich zu befragen, was er wirklich für sich selbst oder für den Beifall des Umfelds tut. 100 Likes für ein Baby-Foto sind eine kurzfristig wirksame Droge, glücklich machen sie nicht.”
Und es geht noch weiter. Denn wenn wir Erwachsenen schon oft zu viel auf den Sozialen Netzwerken unterwegs sind- was machen die Kanäle dann erst mit unseren Kindern?
Kinder können sich immer weniger konzentrieren
Bianca Kellner-Zotz: “Aus meiner Sicht beobachten wir eine zunehmende Verkürzung der Aufmerksamkeitsspannen. Das ist ein großes Problem. Komplexe Probleme kann man nicht in Zehn-Minuten-Lernen-Muss-Immer-Spaß-Machen-Einheiten bearbeiten. Es fällt Kindern und Jugendlichen immer schwerer, sich länger zu konzentrieren, sich auch mal durchzubeißen, sich nicht ständig durch neue Impulse ablenken zu lassen. An meinen eigenen Kindern kann ich beobachten, dass etwa TikTok-Videos oft nur 2 Sekunden haben, um sie zu überzeugen. Wenn es dann nicht lustig ist, wird weitergewischt. Diese Generation kann sich gar nicht vorstellen, dass es sich lohnen könnte, einem Thema Zeit zu geben, sich zu entwickeln.”
Ein großer Aha Effekt war für mich persönlich auch die Rolle der vielen Influencerinnen und Momblogger auf z.B. Instagram.
Instagram bedeutet Sichtbarkeit und soziale Relevanz
Eine Interpretation der Autorin lautet, dass Frauen einen größeren Wunsch nach Anerkennung haben als Männer. Der Grund liegt auf der Hand. Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist das übliche Modell: der Mann bleibt im Beruf, wird dort gelobt und gefördert. Die junge Mutter ist oft alleine zu Hause. Sie kann sich abstrampeln wie verrückt, aber für Hausarbeit und Kindererziehung bekommt sie keinen Applaus. Noch dazu kommt die soziale Isolation und die psychische Umstellung (Muttertät). Fazit: Wenn die Frauen mehr Anerkennung für die Familienarbeit bekämen, müssten sie nicht so sehr auf das Außen schielen.
Die wichtigsten Tipps der Autorin für den Umgang mit sozialen Medien:
- Konzentration auf wenige Medieninhalte
- Nutzungszeit begrenzen
- Handy hat Schlafzimmerverbot
- Empfehlung: die Netflix-Doku “Das Dilemma mit den sozialen Medien” (für Eltern UND Schüler:innen)
Und was ich noch anfügen möchte: denkt immer daran, dass das alles nur Highlights aus den Leben der Anderen sind. NIEMAND hat IMMER ALLES unter Kontrolle. Folgt Leuten, die Euch empowern und nicht denen, die Euch stressen. Hier bei den hey sisters findet Ihr jede Menge inspirierende Frauen.
Und passt auf, dass Euch der Konsum nicht prokrastinieren lässt. Wer zu viel scrollt, vernachlässigt nicht selten sein eigenes Leben. Hier lest Ihr mehr zum Thema.
Bianca Kellner-Zotz: Happy Family- Warum die Sucht nach Aufmerksamkeit Familien unter Druck setzt und wie wir uns davon frei machen können (Goldmann Verlag).