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Endlich Anti-Girlboss?!

Jährlich grüßt das Murmelt- äh, der Weltfrauentag. Und während ich die letzten Tage alles konsumiere, was mit Gender Gaps zu tun hat und mein Emailfach kräht: “Frauenquote in Aufsichtsräten steigt zu langsam“ werde ich müde. Müde und lost. Ja, ich geb’s zu: manchmal merke ich, wie ich mich völlig in meiner Bubble verloren habe. Der ambitionierte Weg nach oben, das Streben nach Gleichberechtigung, Erfolg und Selbstverwirklichung hat mich seit Jahren fest im Griff. Klar, stelle ich doch hier auf hey sister tolle Frauen vor, die ihren eigenen Weg gehen. Und auch in meinem Netzwerk der Kreativen, egal ob auf LinkedIn oder Instagram, geht es ziemlich ab. Selbst wenn ich das “Du kannst alles schaffen” Mindseit vieler Coaches verachte, bin ich doch davon überzeugt, dass es enorm wichtig ist, selbstbestimmt zu leben. Dass der Beruf dafür aber nicht die einzige Ebene ist – das hab ich lange Zeit erfolgreich verdrängt.

Einfach mal locker lassen- leicht gesagt, oder?

Schluss mit „Höher, schneller, weiter“

Über den Begriff “Girlboss” stolpern wir heute nur noch selten. Zum Einen, weil seine Blütezeit einfach schon 10 Jahre her und der gleichnamige Film nicht mehr hip ist. Zum Anderen, weil mittlerweile viele Frauen diesen Begriff eher als diskriminierend als empowernd empfinden – schließlich gibt es ja auch kein Äquivalent vom “Boyboss”. Diese Debatte (Girlboss? Nein Danke) hatte ich vor einigen Jahren auch auf dieser Seite schon mal geführt. Vor kurzem ist mir dann beim Aussortieren des riesigen Bücherstapels aus dem Wohnzimmer ein Werk in die Hände gefallen, das mich echt kalt erwischt hat: “Anti-Girlboss” von Nadia Shehadeh. Darin stellt sie die entscheidende Frage: “Was, wenn man kein Leben auf der Überholspur führen möchte, sondern lieber auf der Couch liegt und auf »productivity« pfeift? Und was, wenn das von vielen gelobte Leistungsprinzip eigentlich nur eine Mär ist, die Statusunterschiede nicht erklären kann und Menschen unglücklich macht?”

Was, wenn “Boss sein” gar nicht das Nonplusultra ist?

BÄM. Vor allem uns Frauen wird eingetrichtert, dass wir uns mit individuellem Ehrgeiz aus gesellschaftlichen Ungerechtigkeitsstrukturen befreien können – jederzeit. Man denke nur an perfekte Vorbilder wie Tijen Onaran oder Mirna Funk. Aber ist das wirklich die Wahrheit? Oder ist die große Senkrechtstarter-Karriere auch nur ein Puzzle aus vielen Teilen: Ambitionen, Disziplin, Background, Startkapital, Gesundheit, Förderer – Glück! Die großen Geschichten täuschen uns oft auf perfide Art Chancengleichheit vor und treiben uns zu immer mehr bezahlter und unbezahlter Arbeit an. Shehadeh plädiert dafür, sich eine Komfortzone zu bewahren, die uns davor schützt, für Anforderungen von Außen auszubrennen. Wenn wir erkennen, dass es nicht so wichtig ist, Alles zu haben, Alles zu können und immer am Limit zu arbeiten, lebt sich das Leben nicht nur leichter, sondern auch glücklicher.

Mach Platz für die schönen Dinge!

Meine Arbeit ist cool. Aber es gibt noch so viel mehr!

 Der “Anti-Girlboss” muss nicht ständig nach Höchstleistungen streben und alles Durchschnittliche abwerten. Tatsächlich kann ich Erfüllung auch in meiner Freizeit finden. Im Ehrenamt. Der Familie. Im Reisen, der Musik- und Himmel Hergott, ja: auch beim Couchen! Überall, oder?! Nicht “Höher, schneller weiter” ist das Credo – sondern individuelle Entfaltung mit allen soziologischen Rahmenbedingungen. Und versteht mich nicht falsch: ich bin alleinerziehend, ich kann mir nur Eierstöcke schaukeln gar nicht leisten. Ich möchte nur weg vom ewigen Optimierungsdruck, NOCH MEHR schaffen zu müssen. Und selbstverständlich werde ich weiterhin über all die wunderbaren Frauen schreiben, die etwas wagen. Die sich ein solches Business aufbauen, dass andere mit den Ohren wackeln! Aber ich möchte auch Geschichten abbilden, die das entgegengesetzte Narrativ bedienen.

Deswegen ist mein größtes Learning zum Weltfrauentag in diesem Jahr:

Es gibt drölftausend Wege zum Glück. “Anti-Girlboss” zu sein ist sicherlich ein sehr gesunder.

Unbedingte Leseempfehlung.

Über die Autorin

Nadia Shehadeh, geboren 1980, ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Livemusik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie betreibt ihren eigenen Blog shehadistan und ist Kolumnistin bei Missy Magazine, Neues Deutschland und freie Autorin bei der taz. Hauptberuflich arbeitet sie seit 2007 als Soziologin in der Erwachsenen- und Jugendarbeit.