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Omas gegen Rechts: Haltung ist keine Frage des Alters

“Omas, Omas! Uns braucht das ganze Land, wir kämpfen für die Kinder und machen Widerstand!“ – Jedes Mal, wenn ich etwas über die Omas gegen Rechts lese oder sehe, schießt mir die Liedzeile durch den Kopf. 2018 durfte ich die Gründerinnen Susanne Scholl und Monika Salzer in Wien interviewen. Bei einer Menschenkette für Frauenrechte sangen sie ihr selbstgeschriebenes Lied, mit selbstgestrickten Mützen und bunten Buttons ausgerüstet. Irgendwie niedlich, sehr berührend und definitiv inspirierend. Vor kurzem erfahre ich, dass es die Omas gegen Rechts auch in meiner Nähe gibt, nämlich in Ingolstadt. Das muss ich mir anschauen!

Die bunten Buttons dürfen nicht fehlen

Zu Besuch bei Omas gegen Rechts

Ich telefoniere mit Kerstin Lang, Gründerin der Ingolstädter Ortsgruppe. Genau wie ich, entdeckt sie den Verein vor vier Jahren- bei einem Besuch ihrer Tochter in Berlin. Kerstin erinnert sich: „Eigentlich wollten wir mit meiner Enkelin in den Zoo gehen, da sagt meine Tochter auf einmal zu mir, dass sie auf eine Gegendemo muss.“ Anlass war der Todestag von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß mit dementsprechendem Nazi-Aufmarsch. „Wir schicken Opa in den Zoo, ich komm mit dir mit!“, antwortet Kerstin und kann nicht glauben, was sie da sieht. Hunderte Nazis marschierten an ihr vorbei. In Kerstin braut sich eine Mischung aus Angst, Machtlosigkeit und Mut zusammen. Mut, weil ihr eine Tafel mit der Aufschrift Omas gegen Rechts entgegenwinkt. Sie kommt mit der Gründerin der Berliner Gruppe ins Gespräch. Die Eindrücke, die sie mit nach Hause nimmt, lassen ihr keine Ruhe. Also gründete sie im Mai 2019 eine eigene Ortsgruppe.

Kerstin Lang, Gründerin der OMAS GEGEN RECHTS Ingolstadt

Omas gegen Rechts Ingolstadt

Ein paar Wochen nach unserem Telefonat treffen wir uns in Vronis Ratschhaus – ein Begegnungsort mitten in Ingolstadt. Auf dem Tisch stehen Kekse, Kaffee, Tee und Kuchen. Drum herum sitzen zwölf Frauen, die ihre Pläne für 2022 besprechen. Die Omas wollen im Mai eine Ausstellung organisieren, ein Aussteiger aus der rechten Szene und Holocaust-Überlebende sollen dort sprechen. Zudem wollen sie die sogenannten „Stammtischkämpfer-Seminare“ wieder aufnehmen und die Bamberger Omas haben ein Vernetzungstreffen angefragt. Die Frauen blättern in ihren Taschenkalendern und notieren alle Termine. „So, und jetzt ist es Zeit für den gemütlichen Teil“, sagt Kerstin. Doch gemütliche Themen sehen anders aus. Es geht um Politik und den Krieg in der Ukraine. „Wie sieht es denn mit einem Ostermarsch aus?“, fragt eine der Frauen und erinnert an den letzten Marsch vor 20 Jahren. Die anderen nicken. Dieses Jahr werden sie wieder auf die Straße gehen und gegen atomare Bewaffnung und Aufrüstung demonstrieren.

Die Omas marschieren

Zwei Wochen später, es ist Karsamstag, 10 Uhr. Ich verziehe mich in ein kleines Café, genehmige mir einen Cappuccino und beobachte die Aufbauarbeiten. Friedenstauben auf blauen Luftballons flattern im Wind. Die Innenstadt schlummert noch, während die OMAS bereits werkeln. Kurz vor 11 checke ich rüber zum Paradeplatz. „Ha!“, kräht Kerstin, als sie mich entdeckt und drückt mir einen Luftballon in die Hand. Aus den Lautsprechern dröhnt ein Song von Reinhard Mey: “Nein, meine Söhne geb’ ich nicht!” Nach und füllt sich der Platz mit Menschen. Einige haben Plakate und Fahnen mitgebracht, die sie in der Luft schwenken. Um 12 Uhr marschieren wir dann los. Vorneweg ein paar jugendliche Punker, die ihre Slogans schreien. In der Mitte fährt ein Mann mit einem Lastenrad, das er zur mobilen Anlage umgebaut hat. Musik begleitet uns bei jedem Schritt durch die Innenstadt. Passanten drehen sich um, schauen, was da auf sie zukommt. Es ist das erste Mal für mich, dass ich auf so einer Demo mitgehe.

Demo auf dem Ingolstädter Paradeplatz

Die Gefühle vermischen sich

Ein ganz besonderes Gefühl. Stolz, Angst, Hoffnung, Trauer – alles vermischt sich. Nach der Demo sprechen der Friedensaktivist Jürgen Grässlin, eine evangelische Pfarrerin und eine Vertreterin von Fridays for Future. Letztere schätze ich auf 15 oder 16. Eine junge Frau mit Nasenkettchen, die ihre Rede vom Smartphone abliest. Wow! Hätte ich mich das damals getraut? Hätte mich das damals überhaupt interessiert? Wahrscheinlich hätte ich das alles gar nicht kapiert. Ich verstehe jetzt, warum Kerstin damals von der Gegendemo in Berlin so angefixt war. Es toben derzeit 30 Krieg auf der Welt, wie ich von Jürgen Grässlin erfahre. Das macht mir Angst und stimmt mich traurig. Doch ich erkenne, dass wir unsere Stimmen nutzen müssen, um dagegen anzukämpfen.

Zusammen sind wir stark

Und ich erkenne, dass ich nicht alleine bin. Mit den Omas gegen Rechts mitzugehen, bestärkt mich und macht Hoffnung. Hoffnung, dass wir irgendwann Frieden schaffen, und zwar ohne Waffen. Als die Veranstaltung zu Ende geht, rede ich nochmal mit Kerstin. Wir reflektieren kurz, was gesagt wurde und was uns beide nun beschäftigt. Ein junges Mädchen kommt auf uns zu, Kerstin legt den Arm um sie und drückt ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Meine Demo-Enkelin“, sagt sie stolz. „Die war schon auf mehr Demos als ich!“ Die nächste Generation ist also schon aufgestanden, um ihre Stimme zu erheben. Ich kann den Stolz der Oma nachvollziehen und ich hoffe, dass Frauen und Mädchen nie müde werden, gemeinsam ihre Stimmen zu erheben, um ihr Lied zu singen.

Ps: Zum wohl coolsten Modelabel gegen Rechts, Antifascism Apparel, geht es hier.

Autorin: Inge Fuchs