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Mit Mundschutz durch die Geburt?

In meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind momentan drei Frauen schwanger. Eine davon wird voraussichtlich schon in einer Woche entbinden. Das Problem: die gute Frau ist- gelinde gesagt- etwas verunsichert. Denn obwohl der kleine Mensch in ihrem Bauch quietschfidel ist, in der richtigen Startposition liegt und auch die Senkwehen schon einsetzen, bleibt eine bange Frage: “Muss ich zur Geburt einen Mundschutz tragen?”

Mit Mundschutz durch die Geburt

Wegen des Coronavirus herrscht derzeit Mundschutzpflicht in Deutschland. Und das ist auch ok, im öffentlichen Nahverkehr, beim Einkaufen und an Schulen. Doch im Moment häufen sich Berichte von Frauen, die auch während der Geburt ihres Kindes eine Maske tragen mussten.

Als Gebärende ist die richtige Atmung das A und O, um diese enorme Anstrengung meistern zu können. Ein Mundschutz schränkt die Luftzufuhr jedoch erheblich ein- und die Vorstellung, dass eine Frau mit dieser Maske durch die Presswehen muss, während wir schon beim Einkaufen schwitzen, ist zunächst absurd.

Urban Legend oder Routine?

Deswegen hatte ich den Artikel von flowbirthing vor gut zwei Wochen auch erstmal für eine Art “Urban Legend” gehalten:

 Unfassbar, unmenschlich, unwürdig, unsinnig: Mit Mundschutz gebären

Im Artikel geht es um eine Frau, die in einer Münchner Klinik mit Maske gebären muss und dabei nicht genug Luft bekommt. Ihr geht die Kraft aus, die Geburt gerät ins Stocken. Eine traumatische Situation. Doch leider ist die Story nicht erfunden. Wahrscheinlich handelt es sich um dieselbe Frau, über die der Merkur ein paar Tage später berichtet. Die Frau kapituliert unter ihrer Maske, das Kind muss mit einer Saugglocke geholt werden. Ich dachte, das KANN nicht sein. Doch als ich anfange, nachzuforschen, stoße ich auf immer mehr Frauen, die den Mundschutz im Kreißsaal tragen mussten. Vor, während und nach der Geburt ihres Kindes.

Infos von staatlicher Seite? Fehlanzeige

Ich möchte wissen, wie die rechtliche Handhabe ist und kontaktiere zuerst die staatlichen Institutionen: das Bundesgesundheitsministerium, das Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und das Bayerische Gesundheitsministerium. Die Antworten? Übersichtlich.

  •  Das Bundesministerium für Gesundheit verweist mich an die BZgA.
  • Die BZgA wiederum rät mir, auf die Seite familienplanung.de. zu gehen. Außerdem: “Für spezifische Regelungen und Vorgaben in Kliniken und Krankenhäusern wenden Sie sich bitte an die Träger der Einrichtungen.”

Mit Mundschutz durch die Geburt- was bisher kaum vorstellbar war, ist jetzt Realität.

Auf den o.g. Seiten bekomme ich zwar Infos über Covid19 bei Schwangeren, über die Anwesenheit der Väter im Kreißsaal und die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben. Was ich jedoch auf keiner Seite finde, sind Infos zum Thema Mundschutz. Ein kurzer Exkurs nach Österreich: dort wird das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS) während der Geburt seitens der Gesundheitsbehörde ausdrücklich nicht empfohlen (meinbezirk berichtete). In der Begründung heißt es: „Die Sauerstoffzufuhr ist bei einer Geburt von zentraler Bedeutung, ebenso das eigene Wohlbefinden der Frau. Beides würde durch das Tragen eines MN-Schutzes beeinträchtigt werden und ist deshalb den Frauen nicht zumutbar“. Recht haben sie.

Nächste Instanz: Krankenhäuser & Kliniken

Da die Kliniken in Deutschland Hausrecht besitzen, sind sie auch für die jeweiligen Bestimmungen zuständig. Ich schreibe nun also eine Handvoll Kliniken im Raum Ingolstadt, Regensburg und München an: müssen Gebärende nun einen Mundschutz tragen oder nicht? Teilweise erhalte ich gar keine Antwort auf meine Anfrage, teilweise bedauert man, mir leider keine Auskunft geben zu können. Die Begründung:  “Die Lage kann sich aktuell immer sehr schnell ändern”. Dabei will ich ja gar keine Zukunftsprognose, sondern lediglich eine Aussage zum IST Zustand.

Gähnende Leere nicht nur auf diesem Flur, sondern auch in Sachen Information.

Nächste Ebene: Die Hebammen

Dann wende ich mich eben an die, die in den Krankenhäusern am Nächsten dran sind: die Hebammen. Teilweise kenne ich selbst welche, teilweise schreibe ich Geburtshelferinnen und Doulas aus NRW, Hamburg und Berlin an. Und alle berichten Ähnliches: Ja, offiziell müssen Schwangere ihr Kind in den meisten Krankenhäusern mit Mundschutz zur Welt bringen. Offiziell. Aber dann kommt die Willkür ins Spiel: Manche Hebammen gehen locker mit der Regelung um und erlauben eine Geburt ohne Mundschutz- der Großteil der Hebammen achtet jedoch sehr auf diese Pflicht.

Keine einheitliche Linie, sondern Glückssache

Immer mehr Frauen melden sich bei mir, nachdem ich auf Instagram von meiner Recherche berichte. Fazit: In Krankenhäusern in Ingolstadt und Regensburg fanden in den vergangen Wochen Geburten MIT und OHNE Maske statt. Einheitliche Linie? Fehlanzeige. Ich verstehe es immer noch nicht, merke aber, dass die Hebammen selbst ziemlich angespannt sind, was das Thema angeht. Viele Schwangere entscheiden sich für Hausgeburten, um die Klinikregularien zu umgehen- und um sich dort nicht selbst anzustecken. Zuhause darf der Vater dabei sein und vor allem müssen die Frauen keinen Mundschutz tragen. Mittlerweile kursiert sogar ein Formular im Netz, das die werdenden Mütter ausfüllen können. Es attestiert den Frauen Asthma, eine Allergie etc. und muss vom behandelnden Hausarzt unterschrieben werden. So könne man den Mundschutz bei der Geburt im Krankenhaus dann umgehen. Skurril.

Mother Hood e.V.

Bei der weiteren Recherche stoße ich wenig später auf Mother Hood e.V., ein Verein, der sich für eine stressfreie und gesunde Schwangerschaft, eine sichere und selbstbestimmte Geburt und ein gesundes Aufwachsen der Kinder im 1. Lebensjahr einsetzt. Auf seiner Facebookseite hat Mother Hood e.V. eine Umfrage gestartet zum Thema Mundschutz, über 700 Frauen haben abgestimmt. Das Ergebnis: 12% der befragten Frauen mussten den Schutz tatsächlich während der Geburt tragen. Ich spreche mit Vereins-Vorstand Katharina Desery. Für sie steht fest: das Problem liegt bei den Kliniken.

“Es kann nicht sein, dass hier Willkür herrscht. Die Kliniken sind ganz klar in der Pflicht! Sie müssen ausreichend Schutzkleidung für Hebammen zur Verfügung stellen. Das Personal muss definitiv geschützt werden- aber dafür ist nicht die Frau verantwortlich, die in den Wehen liegt!”

Katharina Desery

Trauma & Maske? Ein Albtraum

Gebärende bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit, jede Geburt ist individuell. So gäbe es unter den Gebärenden auch Frauen, die psychisch und körperlich vorbelastet seien, sagt Desery. Das sind leider nicht wenige, sondern rund 20 bis 40 Prozent. Diese Frauen haben vielleicht Missbrauch erlebt, Krankheiten, Schicksalsschläge oder eine traumatische Geburt hinter sich – für sie ist eine Maske auf dem Gesicht möglicherweise unzumutbar und kommt einer Katastrophe gleich. An einem der wichtigsten Tage ihres Lebens, der auch eine enorme Bedeutung für die Bindung zwischen Mutter und Kind und die Gesundheit der Frau hat. Ähnlich sehen das auch Katrin Michel und Inken Arntzen vom Netzwerk Gebärmütter

Katrin & Inken, Die Gebärmütter

Die Gebärmütter

Die beiden Hypnobirthing Expertinnen wissen, dass es nicht hilfreich für den Geburtsverlauf ist, wenn schwangere Frauen sich vor der Geburt zu viele Gedanken machen (müssen). „Nicht in die Angstfalle zu rutschen, ist die Herausforderung, denn ein Körper der Angst hat, kann nicht gebären. Und auch eine rebellische Haltung im Kreißsaal bringt die Frau aus ihrem Gebärprozess heraus und ist natürlich nicht das, was wir ihr wünschen.” Sie raten den Schwangeren, sich nicht auf das Thema Mundschutz zu versteifen. “Klar, man kann vorher im Krankenhaus nachfragen und darauf hinweisen, wie es einen hinterläßt. Aber für uns ist wichtig: Äußere Umstände kannst Du nicht ändern. Du kannst jedoch deine Reaktion ändern: Raus aus der Opferrolle. Das Gefühl von Selbstbestimmung, am Steuer zu bleiben, ist das Wichtigste.“, so Arntzen.

Selbstbestimmt gebären

In ihrer Facebook Gruppe für Schwangere während der Corona Pandemie versuchen die Gebärmütter, Frauen auch in dieser Ausnahmesituation zu empowern und zu schulen. So werden auch Atemübungen mit Maske gezeigt- um das Gefühl zu geben, vorbereitet zu sein. Hilfe ist das, was Frauen in dieser Situation eigentlich brauchen. Werdende Mütter sind der Ursprung des Lebens. Sie brauchen Hilfe, Verständnis und vor allem: Klarheit. Man darf gespannt sein, wann das auch die Politik merkt.